I’m still here

In meiner Jubiläumskolumne habe ich eines der wohl überraschendsten kulturellen Phänomene unserer Zeit erwähnt: die Twilight Renaissance. So nennt sich ein Mittelding zwischen Internet-Subkultur und Jugendbewegung, das diese bald 15 Jahre alten Vampir-Filme schätzt und wiederentdeckt. Bemerkenswert daran ist, dass vieles an Ästhetik, Story und Plot der „Twilight“-Filmreihe so haarsträubend, spießig und daneben ist, dass sich niemand (und vor allem ich nicht!) recht erklären kann, warum ausgerechnet diese Filme anzuschauen faszinierend und beglückend ist. Zum Glück gibt es heutzutage Leute auf YouTube, die sowas erklären, wie z.B. CJ The X, eine Person, die witzig und klug relevante Fragen bespricht, z.B. warum der Film „Hamilton“ schlecht und gut zugleich ist oder eben auch, warum uns „Twilight“ gefällt.

Beim Wiedersehen von „Twilight“ fallen auch die mittels Computer Generated Imagery (CGI) verhunzten Werwölfe auf. Das mag daran liegen, dass Werwölfe generell leicht zu schreiben, aber schwer zu zeichnen sind (im Gegensatz zu Vampiren, bei denen es genau umgekehrt ist), weil echte Wölfe statt gefährlich cute aussehen. Oder es liegt am damaligen Stand der CGI.

(c) Martin FritzDieser dürfte sich derzeit sehr rasant verändern, nicht zuletzt dank KIs, also Künstlichen Intelligenzen, wie selbstlernende Programme genannt werden, die in großen Datenbeständen (wie Bildern, Text, Audios) Muster erkennen und diese weiterspinnen und so erstaunlich gut auf Aufforderungen hin z.B. zeichnen, schreiben oder singen können. Wie viele Leute, die viel Zeit vor einem Computer mit Büro-Spielen verbringen, habe ich zuletzt viel Zeit mit diesen gerade in neuer Quantität und Qualität im www niederschwellig zugänglichen Maschinen verbracht.

Eine KI, die (wie wir Menschen eben auch) jede Art von Text und Gespräch täuschend echt nachahmt, habe ich mittels hartnäckigen, höflichen Nachfragens dazu gebracht, mir Crossovers meiner Lieblingskunstwerke zu erzählen (unübertroffen eine Space Opera, in der der Pianist Liberace einen Krieg zwischen Dinosauriern und queeren Werwölfen schlichtet mit der Kraft der Musik).

Die KIs, die zu jeder Text-Eingabe ein passendes Bild zeichnen, gaben mir auf meine Bitte hin, ein Bild vom Fully Automated Luxury Queer Space Communism zu malen, nur Bilder von bunten Uhren aus. Vermutlich haben sie verinnerlicht, dass wir vom Leben im Kapitalismus in unserer Vorstellungskraft eines besseren Lebens beschränkte Wesen uns lieber keine konkreten Vorstellungen davon machen sollten.

Im Bereich der Musik erfreuen uns Programme, die Gesang ausgeben, der fast klingt wie die Stimmen, mit denen sie trainiert wurden. So wurden Cover-Versionen z.B. einer nur ein wenig hüftsteif wirkenden Lady Gaga möglich, die den Song Video „Games“ singt.

Es kann also nicht mehr lange dauern, bis wir mit einigen Mausklicks das SanTra-Cover eines Bug-Songs erstellen oder in unseren Lieblingsfilmen Schauspieler*innen durch andere austauschen können, die wir lieber mögen.

(c) Martin Fritz

Kritiker*innen dieser KIs wie ihre Programmierer*innen warnen davor, dass diese KIs rassistische, sexistische und andere menschlichen Stereotype reproduzieren. Und nicht wenige Leute haben Angst, dass sie ihre Arbeitkraft bald nicht mehr verkaufen können, wenn Computer besser, schneller und billiger als sie zeichnen, schreiben und singen können. Das lässt sich nicht bestreiten, doch ist es kein Problem der KIs selbst, sondern eines von Kapitalismus und Patriarchat, die alles in sein furchtbarstes Gegenteil verkehren. In der Abwehrhaltung gegenüber KIs wurde und wird immer wieder eine andere, angeblich exklusiv menschliche Fähigkeit genannt, die KIs eben noch nicht können und auch nie können werden (übrigens funktioniert auch die Abgrenzung zu nicht-menschlichen Tieren häufig so). Ganz so, als wäre die eigene Existenzberechtigung nur durch Abgrenzung möglich. Als wäre es wichtig, besonderer, wichtiger, notwendiger als andere zu sein, um zu sein.

Es ist dies ein für viele fremdes, stranges In-der-Welt-Sein. Vielleicht ging es eh nie nur um uns? Vielleicht sollten wir auch hier sein dürfen, ohne unsere Arbeitskraft verkaufen zu müssen? Vielleicht geht es mehr als um Grenzen um Beziehungsweisen?

Zu ähnlichen Überlegungen kommt übrigens CJ The X in einem Video zu einer Szene der hier auch schon thematisierten Serie Stranger Things, von dem ich mehr über Kunst und Leben gelernt habe, als in 137 Semestern Kulturwissenschaft. Wie Analyse und Intuition, Dialektik und Dichotomien, Körper und Geister, ein Wesen in dieser Welt, immer noch hier und jetzt, sein – wie das alles geht, das zeigt CJ The X in einem Video, das kein Tier oder Bot anschauen kann ohne zu weinen und hellauf zu lachen.

- Martin Fritz