It’s Britney, Bitch!

Wohl ist mir bewusst, dass sich das p.m.k.-Publikum eher mit elektronischen Musik-Genres oder/und mit Gitarrenmusiken beschäftigt, die früher mal mit Begriffen wie Subkultur oder Underground bezeichnet und von einem so genannten Mainstream abgegrenzt wurden. Dennoch kann ich es mir nicht verkneifen, diese Kolumne dem 40. Geburtstag jener Künstlerin zu widmen, die mich persönlich neben Betty White (wird nächstes Jahr 100) und Elfriede Jelinek (wurde heuer 75) wohl am meisten geprägt hat. Es folgen 10 Fragmente einer Annäherung an die Princess of Pop.

(c) Martin Fritz1. Um gleich den Elefanten im Raum anzusprechen und ihm dann freundlich die Tür zu weisen: Über Britneys psychischen Gesundheitszustand kann ich nichts sagen. Ihre psychischen Probleme ab 2007, die zu ihrer Entmündigung führten, sind samt ihren Ursachen inzwischen in mehr als ausreichend vielen Dokumentationen und Texten behandelt worden. Ich kann nur Britney das beste für ihr Privatleben wünschen und der #FreeBritney-Bewegung Respekt zollen für ihren Einsatz für ihr Idol sowie dafür, das gesellschaftliche Problem der Gefahr von Missbrauch des rechtlichen Konstrukts “Vormundschaft” bekannt gemacht zu haben.

2. Ich möchte über Britneys Highlights sprechen. Interessant ist, dass die Bereiche, in denen sie es zu einer beinahe unerreichten Meisterinnenschaft gebracht hat, die öffentliche Performance einer Stimme, eines Körpers, das Einnehmen von Posen, dass all diese Bereiche der Kunst systematisch abwertet werde (als „weibliche“, gegenüber den „männlichen“ Genies, die Bücher und Symphonien schreiben). Als ob das gar nichts wäre. Als ob es nicht das Beste wäre, was Menschen überhaupt können, und das Schwierigste. Als ob Star-Qualität nicht nur deshalb so schwierig fassbar wäre, weil wir dafür in unseren patriarchal geprägten Sprachen keine Worte haben. Als ob es nicht jedes Kind, das Britney einmal performen gesehen hat, wüsste: Das ist die einzige richtige wahre Arbeit und Magie.

3. Teil von Britneys Kunst ist es, Britney-Sein zu performen. Also zu zeigen, wie das überhaupt geht: öffentlich eine sein. Schade, dass es in dieser Öffentlichkeit ist. Wie Britney leiden auch andere daran, von der Gesellschaft, in der sie leben müssen, stets beurteilt, kritisiert und besprochen zu werden, ohne selbst als agierende Personen ernst genommen oder gehört zu werden.

4. Es gibt auf YouTube Zusammenschnitte von Interviews mit Britney Spears. Wie die Interviewer mit ihr reden, wie sie über sie reden, wie normal es in den 1990ern und 2000ern war, einer Person ihren Subjektstatus abzusprechen, wenn es eine junge Frau war, die zu viel oder zu wenig bekleidet war, oder einfach nur, wenn es eine junge Frau war - wer kann sich das heute noch anschauen und aushalten?

5. Finde ich alles gut, was Britney jemals getan und gesagt hat?

Will ich, dass irgendein Mensch Britneys Leben leben muss?

Hilft mir Britney, die Welt, in der wir leben müssen, zu verstehen und auszuhalten?

6. Die Performance des Songs „Hollywood“ bei den MTV Music Video Awards 2003: Britney Spears und Christina Aguilera performen zunächst in weißen Brautkleidern den Song „Like A Virgin“, bevor Madonna im schwarzen Anzug die Bühne betritt, und im Verlauf der Performance Britney auf den Mund küsst. Durch die Entscheidung der Bild-Regie für den Reaction Shot auf Britneys Ex-Partner Justin Timberlake ist der folgende Kuss von Madonna und Aguilera kaum zu sehen, auch dass darauf die einzige Schwarze Künstlerin der Performance, Missy Elliott (50), die Bühne betritt, geht in der kollektiven Erinnerung unter. Weitere Reaction Shots zeigen u.a. Paris Hilton (40), Beyoncé (40), Mary J. Blige (50) und Snoop Dogg (50) im Publikum. Einzig Butty Summers (40) konnte als fiktive Figur der Performance nicht beiwohnen. Wenn mich Außerirdische mal fragten, wie das Leben auf der Erde in den frühen Nullzigern eigentlich so war, würde ich dieses Video zeigen.

7. Wessen Nacht, wesen Leben wurde nicht bereits gerettet davon, dass zur genau richtigen Zeit ein Tanzflur mit „Toxic“ beschallt wurde?

8. Über einen einzigen Frame aus dem Musikvideo zum Song „Everytime“, darüber sollte mal jemand eine Lecture Performance halten.(c) Martin Fritz

9. Als Britney Spears 2020 anlässlich des Pride Months eine Grußbotschaft an ihre queeren Fans aufnahm, platzte ihr Partner herein, woraufhin sie ihn mit „Baby, be quiet!“ zurechtwies und das Video dennoch auf Instagram hochlud.

10. Ein Traum: Die berühmte Stelle dieser neuen Britney-Doku. Zu sehen ist, wie die Britney Army, es sind dies alles so ca. 10-12-jährige Kinder, auf Britneys Anwesen ankommt und Auskunft zu ihren Fragen fordert. Es wird sich darauf geeinigt, dass Britney einige Fragen der Kinder beantwortet. Als erstes fragt ein Mädchen: „Since it's the 4th of July, don't you think too that everybody should be a girl for a month?“ Nach kurzem Nachdenken antwortet Britney: „Me personally, I couldn't care less if you're a boy or a girl or whatever. You are valid, you are worthy and deserving of love and I love each and every one of you.“ Das nächste Kind möchte wissen: „Do you know what the gerund of 'to be on the spectrum' is?“ Britney blickt kurz verlegen zu ihrer nervös neben ihr stehenden Assistentin, kräuselt die Nase und gibt zu, es nicht zu wissen. Als drittes und letztes will ein Bub wissen: „Will there be another 'One More Time'?” Britney sagt: „I can't promise you that. But everyday I do everthing to be the best Britney I can be for you.“

- Martin Fritz