INFObeisl:diskus "Porto Marghera - Die letzten Feuer"

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INFObeisl:diskus "Porto Marghera - Die letzten Feuer"
Film & Diskussion mit GenossInnen vom Wildcat-Kollektiv

Unter dem Namen »Operaismus« hat in den letzten Jahren eine aus Italien kommende Theorie auch im deutschen Sprachraum Widerhall gefunden, die die Marxschen Vorstellungen der radikalen Umwälzung der Gesellschaft zu erneuern versucht. Die heutige Variante setzt vor den »Operaio« (Arbeiter) allerdings die Vorsilbe »Post-«; die Zeit »nach« den Arbeitern und Arbeiterinnen sozusagen, geprägt von »Multituden«, »immaterieller Arbeit« und »Prekariat«.

In den 60er Jahren gab es die Vorsilbe »Post« noch nicht - dass der Weg zu einer anderen Gesellschaft nicht daran vorbei kommt, die Produktionsverhältnisse umzuwerfen, war klar. In einem beispiellosen Kampfzyklus versuchte die Arbeiterklasse in Italien zwischen Mitte der 60er und Mitte der 70er Jahre »den Himmel zu stürmen«. Die Kämpfe in Turin (Fiat) und Mailand (Pirelli, Alfa Romeo) sind auch heute noch einigermaßen bekannt. Fast vergessen hingegen die Kämpfe im katholisch geprägten Veneto: in Conegliano, Valdagno und eben im Industriegebiet Porto Marghera, wo 2 km vom historischen Zentrum Venedigs entfernt Italiens größter Petrochemiekomplex stand.

Der Ende 2004 fertiggestellte Dokumentarfilm »Porto Marghera. Gli ultimi fuochi« - »Die letzten Feuer« geht zurück in diese Jahre, zu den Arbeitern im Industriegebiet Porto Marghera. Er zeigt Ausschnitte aus Interviews mit damaligen Aktivisten in den Fabriken. Viele der Punkte, die sie anschneiden, sind auch heute nach vierzig Jahren höchst aktuell; angefangen bei der Thematisierung der Arbeit nicht nur als Feilschen um den Lohn, sondern als Art und Weise, wie wir uns selber und die Umwelt zerstören; über die Frage der Organisierung ohne Vertreter bis hin zur Ausweitung des Kampfs in der Fabrik auf andere Bereiche des Lebens. Die Antworten, die sie damals fanden, waren z.B. selbstständig organisierte Streiks für Arbeitszeitverkürzung und mehr Lohn, »Autonome Versammlungen« als Organisationsform, Hausbesetzungen, eigenmächtiges gemeinsames Herabsetzen der Energiepreise und anderes mehr. Aber auch die Grenzen werden angesprochen - als sich die Dynamik der Kämpfe Mitte der 70er Jahre tot lief; Grenzen, die von der Gewerkschaft und durch massive Repression und Militarisierung der Auseinandersetzungen gesetzt wurden.

Heute halten viele das Feld der Arbeit nicht mehr für einen Ansatzpunkt für gesellschaftliche Veränderungen: Auch wenn es in den letzten drei Jahren eine Zunahme von Streiks und anderen Arbeitskämpfen gegeben hat, haben diese kaum die Idee einer anderen Gesellschaft vermitteln können - es scheint nur um die eigene Lohntüte zu gehen, um den eigenen Arbeitsplatz. Tobt dennoch unter der gewerkschaftlichen Oberfläche ein Kampf um andere, bessere Verhältnisse? Können wir dabei helfen, aus dem Korsett der Logik von Tarifverhandlungen und Stellvertreterpolitik herauszukommen? Wie können wir unsere heutige Angst vor bedrohlicher werdenden Lebensverhältnissen überwinden? Kann dies nur auf der politischen Bühne passieren, oder etwa doch dort, wo wir selber diese unerträglichen Verhältnisse produzieren?